Um 7:15 Uhr
klingelt der Wecker. Obwohl das Bett sehr durchgelegen ist und mir auch nicht
sehr stabil erscheint, möchte ich heute mal wieder nicht aufstehen. Es ist
schon eigenartig. Obwohl ich 10 Stunden geschlafen habe, bin ich morgens grundsätzlich
wie gerädert. Schlafe ich vielleicht zu viel? Ich denke an mein Ziel, Bilbao
mit dem Rad zu erreichen. Auch die Freude, spätestens am Abend Pilger zu
treffen, ist groß. Ich werde heute auf den „Camino del Norte“, die
Nordroute des Pilgerweges, stoßen. Schnell ist alles zusammengepackt. Gegen
8:05 Uhr möchte ich mein Fahrrad aus der Cafetería holen. Dort durfte ich es
über Nacht stehen lassen. Mir wird bewusst, dass ich das Fahrrad gestern gar
nicht angeschlossen habe. Hoffentlich ist es noch da. Als ich vor der Cafetería
stehe, ist diese noch geschlossen. Na toll! Dabei habe ich gestern mit dem
Barkeeper abgesprochen, dass ich um 8 Uhr weiterfahren möchte. „No problema“
wurde mir bestätigt. Und nun? Als ich wieder zurück in die Pension gehe, die
sich neben der Cafetería befindet, öffnet der Barkeeper gerade seine Wohnungstür
in der ersten Etage. Ich werde gefragt, was ich möchte. „Mi bicicleta“ natürlich.
Gegen 8:20 Uhr bin ich startklar. Ich suche, wie fast jeden Morgen, ein Café.
Ich brauche jetzt dringend einen Kaffee. In Ortigueira werde ich leider nicht fündig.
So zeitig sind die Spanier hier noch nicht auf. Also fahre ich weiter in
Richtung Viveiro. Nach 8 km Fahrt schiebe ich das erste Mal. Mit leerem Magen lässt
es sich schwer aufwärts fahren. Oben angekommen setzte ich mich wieder auf den
Sattel. Schließlich finde ich ein Café, in welchem zu den Tostadas 5 oder 6
Sorten Marmelade und Honig geboten wird. Als die Wirtin daraufhin antwortet, sie
wisse ja nicht, was jeder Gast mag, bin ich überwältigt. Da ich bald in
Asturien sein werde, frage ich die Wirtin nach den Straßen in dieser Provinz.
Sind diese genauso hügelig wie in Galizien? Die Wirtin erklärt mir, dass sich
nichts ändern wird. Auch dort geht es auf und ab. Hätte ich mal nicht
gefragt...
Gegen 10 Uhr geht
es gestärkt weiter. Ich komme an einen schönen Rastplatz. Dort finde ich auch
einen Brunnen vor, in dem ich meine Fahrradflasche auffülle. Da das Wasser nur
ganz langsam läuft, muss ich viel Geduld an den Tag legen.
Rastplatz
am Meer
Nach kurzer
Weiterfahrt erreiche ich Viveiro. Hier wollte ich gestern eigentlich übernachten.
Viveiro ist eine kleine Küstenstadt, die mit ihren zahlreichen Buchten und Stränden
(7 km lang) sowie den Ruinen der alten Festungsmauer Besucher anzieht.
Viveiro
Es ist Zeit für
ein zweites Frühstück. In der Hauptstraße finde ich ein großes Café. Leute
sitzen auch draußen. Da ich wie gewöhnlich durchgeschwitzt bin, entscheide ich
mich, nach drinnen zu gehen. Das Café sieht sehr edel aus. Was das Frühstück
wohl kosten mag? Ich sehe Fern. Es laufen zur Zeit die Olympischen Spiele, von
denen ich bisher nichts mitbekommen habe. Die deutschen Frauen gewinnen gerade
im Paddeln. Oder Kanu? Auf jeden Fall freut es mich. Weiter so! Als ich bezahle,
bleibt mir fast der Mund offen stehen. Ich muss mich zusammenreißen, dass ich
nicht plötzlich frage: Mehr nicht? Ich bezahle nur 1,85 Euro, und das im bisher
besten Café sowie inklusive dem größten „Café grande“.
Inzwischen brennt
die Sonne. Auf der N-642 (an der Straße steht jedoch N-862) fahre ich stupide
auf und ab. Während ich die ersten Kilometer ohne Meerblick neben den Autos
herfahre, freue ich mich auf ein Treffen mit Pilgern. Diese habe ich seit der
Abfahrt aus Fisterra schon vermisst. Menschen, die den Traum haben, welchen ich
bereits verwirklichen konnte. Menschen, welche sich über ein Dach überm Kopf
sowie über etwas Essbares freuen. Das sind Dinge, die normalerweise selbstverständlich
sind.
Heute möchte ich
mal wieder etwas Warmes zum Mittag essen. Ebenso vermisse ich den Wein, den ich
jeden Tag mit meinen spanischen Freunden trank. Vielleicht fühlen sich meine
Beine anschließend kräftiger. Die nächste größere Stadt ist Foz. Von dort würde
ich noch etwa 30 km bis Ribadeo, meinem heutigen Etappenziel, zu fahren haben.
Das klingt für mich realistisch. Um nach Foz zu gelangen, muss ich jedoch einen
Umweg von zweimal 2 km in Kauf nehmen. Aber das schaffe ich auch noch. Als ich
ein Restaurant finde, habe ich bereits großen Hunger. Da heute Sonntag ist,
bekomme ich kein Tagesmenu. Die Kellnerin empfehlt mir, als hungrige Radlerin,
einen „Plato Combinado“. Ich frage nach dem Hauswein für 2,50 Euro. Wie
viel Wein bekomme ich dafür? In Deutschland ist es ja generell der Preis für
ein Glas. In Spanien ist Wein ein günstiges Getränk. Daher trinken die Spanier
schon mittags Wein, in der Regel als Schorle. Diese Tradition habe ich auch erst
in Spanien kennen gelernt. Die Kellnerin versichert mir, dass ich eine Flasche
auf den Tisch gestellt bekomme, und soviel wie ich möchte, trinken kann. Das
klingt gut. Da ich nicht angetrunken Radfahren möchte, bestelle ich zum Wein
Gaseosa. Diese frische Weinschorle bekommt mir auch tagsüber sehr gut.
Als ich das
Restaurant verlasse, fühle ich mich total voll. Ebenso fällt es mir schwer,
mein Rad unter Kontrolle zu halten. Ist das Gepäck verlagert oder war es zu
viel Wein? Außerdem ist es sehr heiß geworden. Meine Beine wünschen sich
Mittagsschlaf. So kämpfe ich mich vorwärts. Morgen gibt es wieder eine kleine
Mittagsmahlzeit ohne Wein. Nach einer Weile geht es besser. Die Anstiege werden
nun auch überschaubar. Die zahlreichen Kurven, in denen ich jedes Mal hoffe,
die letzte erreicht zu haben, liegen jetzt hinter mir. Vor mir liegen Hügel,
dessen jeweils höchsten Punkt ich von unten bereits sehen kann. Der Wind kommt
nun von vorne. Das kann doch gar nicht sein! Auf dem Weg nach Santiago ist er
auch schon von vorne gekommen. In der Regel herrscht in Nordspanien Westwind. In
der Regel...
Ich komme jetzt
gut voran. Es ist nicht mehr weit bis Ribadeo. Ich bin motiviert und würde am
liebsten ein paar Lieder singen. Aber mir fällt im Moment kein schönes Lied
ein. Meine Gedanken wandern zu einer Problemstellung. Hoffentlich bekomme ich
eine Unterkunft in dem einzigen Refugio. Ich bin zwar Pilger, habe auch einen
Ausweis. Jedoch befinde ich mich auf dem Rückweg. Da bin ich mir nicht sicher,
ob ich ein Recht auf Übernachtung habe.
In Ribadeo
angekommen, frage ich mich wie üblich zum Refugio durch. In einem Bericht habe
ich gelesen, dass sich dieses in der Nähe der Brücke befinden soll. Nur sehe
ich keine Brücke. Als ich ganz in der Nähe bin, frage ich eine Frau, die
gerade mit einem Kinderwagen vorbeikommt. Sie stellt mir zunächst die
Gegenfrage: „Eres alemana?“ Ja, ich bin Deutsche. Es stellt sich heraus,
dass sie eine Zeit in Deutschland gelebt hat. Die Wegbeschreibung bekomme ich
natürlich auf Deutsch. Es ist nicht mehr weit. Bis zur Brücke, die ich nun
sehen kann, unter dieser hindurch und auf der rechten Seite liegt die Herberge
vor mir. Diese ist ein kleines Häuschen, auf dessen Dach man, da es zum Weg hin
abfällt, herumlaufen kann.
Herberge
in Ribadeo
In der Herberge
treffe ich auf drei Pilgerinnen, die zu Fuß unterwegs sind. Sie erklären mir,
dass alle Betten belegt sind und dass ich auf dem Sofa im Vorraum schlafen könnte.
Ansonsten ist auf dem Boden genug Platz. Super, ich kann hier bleiben. Es ist
auch niemand da, bei dem ich mich anmelden muss. Nachdem ich mein Trikot
gewaschen habe, gehe ich in die Stadt. Heute werde ich mich mal wieder in
Schwerin bei meiner Familie melden. Ich finde bald eine Telefonzelle. Nach dem
Telefonat mache ich mich auf den Rückweg. Hier im Zentrum ist einfach nichts
los. Nichts Sehenswertes hält mich hier. Im Refugio angekommen, hole ich
Tagebucheinträge nach. Zwei männliche Pilger sprechen Englisch. Der eine
spricht jedoch in einem deutschen Akzent. Als ich ihn frage, wo er herkommt,
stellt sich heraus, dass er ebenfalls Deutscher ist. Andreas hat ebenso wie ich,
sein Studium zuvor beendet. Er ist wie alle anderen Pilger in dieser Herberge zu
Fuß nach Santiago unterwegs. Wir unterhalten uns eine Weile. Mich interessiert
besonders, ob die Pilger nicht Blasen an den Füssen bekommen. Andreas erklärt
mir daraufhin, dass man in den ersten Tagen mit Blasen rechnen muss. Die Pilger
verarzten sich abends in den Herbergen. Nach ein paar Tagen ist die Hornhaut
jedoch dick genug, um die Füße vor Blasen zu schützen. Wie unterhalten uns
noch über die Herbergen auf der Nordroute. Da ich kein Verzeichnis dieser
besitze, schenkt Andreas mir sein Herbergsverzeichnis. Ich freue mich riesig und
schaue gleich nach, wo ich in den nächsten Tagen unterkommen könnte. In der
Zwischenzeit kommt ein weiterer Fußpilger. Er ist total erschöpft und möchte
auf dem Sofa schlafen. Ich gebe gerne den Sofaplatz ab und schlafe auf dem
Boden. Als er von einem weiteren Pilger erfährt, dass ich das Sofa quasi schon
„belegt“ habe, ist er plötzlich der Meinung, er schlafe auf dem Boden. Das
kommt gar nicht in Frage. Nun möchte er plötzlich eine Münze werfen. Um ihn
davon abzubringen, frage ich nach seiner Isomatte. Er stellt mir seine „Therm-A-Rest“
als zweite Unterlage zur Verfügung. Somit ist das Problem gelöst...
Kurze Zeit später
kommen einige Leute in Uniform und möchten unsere Ausweise abstempeln. Oh
Schreck. Eine Weile schaue ich zu, wie die anderen Pilger nacheinander ihre
Ausweise vorlegen. Als der vorletzte gestempelt wird, verschwinde ich mal kurz
auf Toilette... Als ich wiederkomme, sind wir Pilger wieder alleine. Glück
gehabt.
Ich schreibe noch
ein paar Stichpunkte in mein Reisetagebuch. Beim Schreiben werde ich sehr müde
und lege meine Aufzeichnungen beiseite. Ein bisschen frische Luft tut vielleicht
gut. Ich sehe einen herrlichen Sonnenuntergang und hole sofort meine Kamera.
Sonnenuntergang
Andreas und ein
weiterer Pilger haben 3 Pakete Nudeln eingekauft. Sie laden mich zum Mitessen
ein. Das Angebot nehme ich gerne an. Leider kann ich nichts als einen Brotrest
beisteuern. Ein weiterer Pilger kommt mit Käse, Brot und zwei Flaschen Wein von
einem Supermarkt. Die drei Frauen haben noch Salat. So wird ein Abendessen aus
allem, was verfügbar ist, zubereitet. Als Hauptgericht gibt es einen Nudelsalat
mit Eisbergsalat und Tomaten. Besteck gibt es hier nicht genug. Ich hole aus
meinem Gepäck mein Campingbesteck. Auch Andreas holt ein ähnliches Besteck
hervor. Unsere Löffel geben wir an andere Pilger weiter. Die, die kein Besteck
haben, nutzen das Brot als Gabel für den Nudelsalat. Man muss sich nur zu
helfen wissen. Wir sitzen länger als eine Stunde gemeinsam am Tisch und
unterhalten uns größtenteils über die Pilgerung. Da ich nicht so gut Spanisch
verstehe, unterhalte ich mich die meiste Zeit mit Andreas. Mehrmals wird eine
Platte mit Käse herumgegeben. Auch ein Becher mit Rotwein macht seine Runden.
Mir ist es sehr unangenehm, nur Brot zum Essen beisteuern zu können. Am
liebsten möchte ich fragen, was jeder bekommt. Ich lasse es dann aber.
Abendessen
mit anderen Pilgern
Wir sitzen bis
etwa 23 Uhr in gemütlicher Runde. Nun sind wir doch alle müde. Jeder macht
sich sein Bett zurecht. Ich muss etwas warten, bis eines der zwei Bäder frei
wird. Nach dem Zähneputzen liege ich schnell auf meinen (heute) zwei Matten.
mein
Bett
Ich kann nicht einschlafen. Andere Pilger schnarchen bereits. Irgendwann schlafe ich ein, bin aber in dieser Nacht mehr wach als dass ich schlafe.