Ich kann diese Nacht kaum schlafen. Der gestrige Tag hatte so viel Neues zu bieten. Ich stelle den Wecker von 7 Uhr auf 7:30 Uhr. Dann packen und um 8 Uhr zum Frühstück. Perfekt. Nur der Wecker klingelt nicht. 7:56 Uhr werde ich wach. Die Santiago-Helferin (ich kenne leider ihren Namen nicht) ist schon sehr zeitig los. Ich gehe mit Ruth zum Frühstück. Der Kaffee schmeckt wie Kinderkaffee. Hoffentlich gibt es den nicht überall in Spanien! Zu essen gibt es eine kleine Schale Cornflakes und zwei Toasts. Als wir fertig sind mit Frühstücken treffen wir noch Javier. Leider habe ich keine Zeit mehr, mit ihm am Tisch zu sitzen. Ich werde eine Weile brauchen, Bilbao zu durchfahren. Unterwegs muss ich noch eine Tankstelle suchen, um meine Reifen nachzupumpen. Anschließend geht es über einen Berg. Da werde ich ebenso etwas Zeit für einplanen müssen. Die Vorbereitung der Tour ist in Deutschland doch etwas kurz gekommen.

Ich packe meine Sachen zusammen. Dabei passe ich auf, dass die Taschen gleiches Gewicht aufweisen. Andernfalls geht es den Speichen bald nicht mehr gut. Eine kleine Acht habe ich bereits seit der Tour im letzten Jahr.

Um 9:30 Uhr geht es dann los Richtung Zentrum, eine Tankstelle, einen Bäcker und einen Obstladen suchen. Ich möchte mich am Tag selbst verpflegen. Es regnet etwas. Und das gleich am ersten Tag. Aber es kann nur besser werden! Ich finde schnell einen Bäcker und kaufe ein „barra de pan“ (Meterbrot). Dies ist ganz typisch für Spanien. Es gibt wenige andere Brotsorten wie bei uns in Deutschland. In Spanien isst man fast ausschließlich Weißbrot. In dem Bäcker frage ich auch gleich nach einer Tankstelle. Vorher muss ich den Begriff in meinem Wörterbuch nachschlagen. Die Bäckerin erklärt mir den Weg. Die Tankstelle kann ich leider nicht finden. Ich frage noch einige Herren auf der Straße, jedoch weiß keiner so richtig, wo ich Luft herbekommen kann. Ein Mann erklärt mir dann den Weg zu einem Motorrad-Laden. Er bringt mich sogar vor zur Hauptstraße und zeigt mir den Laden, den man von hier schon sehen kann. Dort wird mir auch sofort geholfen. Ich erhalte einen Reifendruck von 6 bar. Maximal zulässig sind eigentlich 5,5 bar... Aber das Rad fährt sich gleich viel leichter. Und mehr Vertrauen zu Felge und Speichen habe ich nun auch.

Im Moment kann ich mich nicht orientieren. Von der Himmelsrichtung her müsste es eigentlich der Weg nach Derio sein. Aber ich frage lieber nach. Ein Zeitungsverkäufer schaut mich nur ganz eigenartig an: „Montaña grande“ höre ich ihn mehrmals hintereinander sagen. Er kann wohl nicht verstehen, dass ich mit dem voll bepackten Rad über den Berg nach Derio möchte. Aber ich bin richtig. Weiter geht’s! Ich fahre auf der BI-631 von Bilbao nach Derio. Später bin ich mir wieder etwas unsicher, ob ich tatsächlich richtig fahre. Es geht zwar etwas aufwärts, nur habe ich noch kein Schild mit der Aufschrift „Derio“ gesehen. Ich frage noch einmal einen Mann am Straßenrand. Dieser versucht mir den Weg zu erklären. Aber er spricht so schnell, dass ich kaum etwas verstehe. Das gebe ich ihm zu verstehen. Daraufhin zeichnet er mir den Weg auf seiner Handfläche auf. Der Berg ist wirklich hart, zumindest für das Fahren mit Gepäck. Nun kann ich den Zeitungsverkäufer verstehen. Meine Schaltung macht mir ebenso Probleme. Die Gänge springen, als könnte sich die Kette nicht für ein Zahnrad entscheiden. Ich schiebe viel. Dann verfahre ich mich auch noch. Die Nummer der Landstraße kommt mir nicht bekannt vor. Eine ältere Frau erklärt mir, ich muss zurück. Dabei bin ich gerade schön runtergerollt...

Erst nach 12 Uhr erreiche ich Derio. Ich erkenne auch die S-Bahn-Station vom Vorabend wieder. Die Motivation lässt nun nach. Es ist noch sehr weit bis Colegiata. Ich suche nun die N-637. Auf dieser Nationalstraße fahre ich über Zamudio nach Lezama. Hinter Lezama muss ich aufpassen, dass ich den Weg nach Larrabetzu nehme und nicht aus Versehen auf der Nationalstraße weiterfahre. Das klappt aber ganz gut. Nach Larrabetzu geht es weiter in Richtung Muxika. Aber ich muss erst einmal schieben. Dabei beobachte ich am Straßenrand einige Eidechsen. Diese sind aber so schnell im Gebüsch verschwunden, dass es sich nicht lohnt, die Kamera rauszuholen. In einem kleinen Ort frage ich nach dem Weg nach Muxika. Hoffentlich bin ich nicht falsch gefahren. Ich bin richtig. Der junge Mann klopft mir noch auf die Schulter und wünscht mir einen guten Weg.

Es ist inzwischen sehr heiß geworden. Immer weiter muss ich aufwärts. Ich bin fast die ganze Zeit alleine auf der Straße, nur ab und zu kommt ein Auto oder Rennradfahrer vorbei. Das Wasser geht mir aus. Ich habe nur noch einen winzigen Schluck, den ich mir als Notreserve halten muss. Ich sehe links ein einzeln stehendes Haus. Da werde ich mal klingeln. Vielleicht ist ja jemand da. Die Katze vor der Tür macht mir Platz, damit ich an die Klingel komme. Der Herr des Hauses ist sehr nett. Er sieht meine Flaschen in der Hand. Ich komme noch dazu zu fragen: „Puede ayudar?...“ (Können Sie mir helfen?...), da fragt er schon „Agua?“. Ich bekomme beide Flaschen gefüllt und bedanke mich. Der Durst ist so groß, dass ich fast eine halbe Flasche austrinke. Nun bin ich oben am Berg angekommen und kann bis kurz vor Muxika bergab rollen. Wie schön! Ein paar Kilometer nach Muxika verlasse ich die ruhige Straße und fahre auf der BI-635 nach Gernika-Lumo. Diese fährt sich, abgesehen vom starken Auto- und LKW-Verkehr, recht gut. Der Standstreifen ist allerdings recht schmal. Die Hitze macht mir nun ganz schön zu schaffen. In Gernika-Lumo finde ich erst nicht den richtigen Weg. Nach meiner Straßenkarte muss ich die BI-2224 fahren. Nur ist die nirgends ausgeschildert. Ich frage ein paar Männer im Auto. Sie können mir allerdings nicht weiterhelfen. Auf jeden Fall muss ich zurück. Hier bin ich leider falsch. Auf dem Weg treffe ich auf zwei auf einer Bank sitzende Rentner. Sie erklären mir dann, ich sollte Richtung Arratzu fahren und dann ist der Weg nach Arbacegui y Gerrikaiz ausgeschildert. Den Ort muss ich heute noch durchfahren. Dann bin ich auch schon fast am Tagesziel angelangt... Nun finde ich endlich die richtige Straße. Gegen 15:30 Uhr gönne ich mir erst einmal eine Pause. Es ist verdammt heiß. Ich suche mir einen Platz auf einer Wiese neben der wenig befahrenen Landstraße im Schatten und schreibe etwas Tagebuch, esse und trinke ein wenig. Während der Pause winkt mir schon der zweite Radfahrer freundlich zu. Es sieht so aus, als wolle er bremsen. Doch er ist gerade gut in Fahrt und kommt nicht so schnell zum Stehen.

Kurz nach 16 Uhr geht es dann weiter. Die BI-2224 ist herrlich - links und rechts Wald, kaum Verkehr. So könnte es immer sein. Bald muss ich wieder schieben. In Munitibar frage ich nach dem Weg nach Colegiata. Laut meiner Karte bin ich fast da. Der Wirt in der Kneipe erklärt mir auf Englisch (er merkte wohl, dass ich keine Spanierin bin), ich müsse noch 4 km bergauf fahren. Dann komme ich an eine kleine Kreuzung, an der ich rechts abbiege. Die 4 km schiebe ich fast vollständig. Ich will nicht mehr! Ich höre es schon donnern. Es dauert nicht mehr lange, dann wird es wohl gewittern. Nach der Kreuzung geht es dann noch einmal 2 km berghoch. So gut es geht, versuche ich zu fahren, komme aber nicht weit. Ich muss doch schieben. Um 18:45 Uhr komme ich endlich an. In dem Moment fängt es an zu regnen.

Vor der Herberge werde ich gleich von Pilgern empfangen. Diese sind fast alle Spanier. Ich werde gefragt, wo ich herkomme. Jennifer, eine Kanadierin, die in der Schweiz wohnt, ist Dolmetscherin. So kann ich mit ihr Deutsch sprechen. Die erklärt mir, wenn ich hier schlafen möchte (und das möchte ich auf jeden Fall) müssen wir einen Mönch finden. Da mein Spanisch nicht so gut ist, begleitet sie mich. Der Mönch ist sehr nett. Jennifer übersetzt für mich, dass das Abendessen um 20:45 Uhr für alle Pilger aufgedeckt wird. Hier zu schlafen ist kein Problem. Wenn nicht im Zimmer genug Platz ist, dann kann ich in der Kirche schlafen. Ich hoffe aber, im Zimmer ist noch Platz für meine Isomatte. Jennifer zeigt mir auch die sanitären Anlagen. Sie selbst ist mit zwei Männern auf der Nordroute unterwegs nach Santiago. Einer der Männer fährt einen Transporter, der andere fährt mit Jennifer Mountainbike auf dem Camino. Ich beneide die beiden, da sie ohne Gepäck, nur mit einer Wasserflasche am Rad, fahren können. Ohne mein Gepäck bräuchte ich nicht so viel schieben. Heute, am ersten Tag meiner Reise, musste ich bereits sehr viel schieben. Hoffentlich wird es besser. Ich habe noch fast 2000 km vor mir...

Ich gehe erst einmal duschen. Ist das herrlich! Ich habe schon Hunger. Das Abendessen in Spanien wird in Spanien generell so spät am Abend eingenommen. Ich bin es gewohnt, zwischen 18 und 19 Uhr zu essen. Bis zum Essen ist noch etwas Zeit. Jennifer fragt mich, ob ich mitkommen möchte, etwas in der nahe liegenden Taberna zu trinken. Na klar. Mit Jennifer, ihren zwei Begleitern und einem Fußpilger fahren wir mit dem Auto zur Taberna. Es gibt mal wieder frisch gepressten O-Saft. Als ich bezahlen möchte, wird mir mitgeteilt, die drei Männer haben für uns Frauen mitbezahlt. Das ist mir gar nicht recht, vor allem, da ich zwei Säfte getrunken habe...

Um 20:45 Uhr sind wir pünktlich zum Abendessen zurück. Die Mönche haben für die Pilger gekocht! Jemand von der Kirche (ich denke es ist kein Mönch) serviert das Essen. Es gibt eine leckere Linsensuppe mit Brot, als zweiten Gang (!) leckere Paella mit Fisch. Anschließend noch einen Apfel. Während des Essens erhalten wir von einem der Mönche einen Stempel in unser Credencial, das uns als Pilger ausweist. Da ich in Bilbao vergessen habe, meinen Ausweis abzustempeln, ist es für mich der erste Stempel. Wir werden von dem Mönch gefragt, wann wir morgen früh aufbrechen werden. Die Mönche möchten, dass wir vorher noch ein kleines Frühstück zu uns nehmen. Mit so viel Fürsorge haben wir alle nicht gerechnet. Ich bin überwältigt.

Abendessen

Nach dem Essen findet noch eine Messe in der Kirche statt. Die Mönche singen im Chor. Zwischendurch liest jeder etwas aus einem kleinen Büchlein vor, wahrscheinlich eine Bibel. Da es Spanisch ist, verstehe ich so gut wie nichts. Der Gesang ist sehr beruhigend, macht aber auch müde. Meine Isomatte brauche ich diese Nacht nicht, da drei Matratzen neben den 4 Doppelstockbetten vorhanden sind. Einige Pilger schlafen in der Kirche. Jennifer ist noch mit ihren zwei Begleitern was trinken gegangen. Ich bin einfach zu müde und habe keine Lust mitzugehen. Gegen 23:30 Uhr liege ich auf einer Matratze neben zwei Fußpilgern. Den Wecker stelle ich noch auf 6:30 Uhr. Um 7 Uhr haben wir das Frühstück vereinbart. Da das Schnarchen bereits beginnt, dämpfe ich es durch meine Ohropags etwas ab.