Um 6:45 Uhr klingelt der Wecker. Ich habe unruhig geschlafen und eigenartige Dinge geträumt. Draußen regnet es heftig. Am liebsten würde ich im Bett bleiben. Ein scheiß Wetter! Um 7:30 Uhr habe ich das Restliche zusammengepackt und alles auf dem Rad verstaut. Es regnet immer noch. Ich gehe mich von Heidi und Adolf verabschieden. Sie wünschen mir viel Spaß, viel Sonne, kein Regen. Sie sind ebenfalls dabei, alles zusammenzupacken. In etwa einer Stunde müssen sie los zum Flughafen. Dieser liegt etwa 20 km außerhalb von Santiago.

Um 7:50 Uhr sitze ich im Sattel. Der Regen hat gerade aufgehört. So habe ich es mir gewünscht. Gestern habe ich mir den Weg aus Santiago in der Karte und dem Stadtplan angesehen. Als ich nun eine Abkürzung nehmen möchte, werde ich durch einen riesigen Absatz gebremst und muss umdrehen. Schließlich finde ich den richtigen Weg. Gegen 8:15 Uhr fahre ich auf der Straße nach Noia. Ich habe mir überlegt, von Noia nach Norden über das Gebirge hoch zu fahren. Der Weg ist wesentlich kürzer als an der Küste entlang. Jemand, der diese Etappe gefahren ist,  war in etwa 7 Stunden in Fisterra. Dann sollte ich es doch in 8 oder 9 Stunden schaffen...

Meine Beine funktionieren heute gut. Es sieht nun nach Regen aus. Ich ziehe meine Regenjacke an, welche schon auf dem Gepäck bereit liegt. Es regnet doch nicht. In Bertamiráns mache ich Frühstückspause in einem Café. Der Wirt fragt mich, woher ich komme. Obwohl ich auf Spanisch mein Frühstück bestelle, fragt er mich auf Englisch. Wahrscheinlich ist mein Spanisch nicht so toll...

Auf der Weiterfahrt gibt es mehrere kurze, aber heftige Schauer. Meistens kann ich mich unterstellen. Oft beginnt es zu regnen, wenn ein Buswartestellenhäuschen in Sicht ist. Einmal stehe ich unter einem Carport einer Firma.

Es geht immer wieder auf und ab. Vor Noia habe ich einen längeren Anstieg zu bewältigen. Erst dann kann ich mich in den Ort rollen lassen. Da es schon wieder nach Regen aussieht und ich unter meiner Regenjacke total durchgeschwitzt bin, steuere ich das Café rechts der Straße an. Ich bin noch gar nicht durch die Tür, da beginnt es schon zu regnen. Ich wechsle als erstes mein Trikot. Anschließend gibt es zum Aufwärmen eine heiße Schokolade. Es ist die erste heiße Schokolade, die ich in Spanien trinke. Sonst habe ich immer nur Kaffee getrunken. Während ich im Café sitze, studiere ich den weiteren Streckenverlauf. Oder ist es doch besser, an der Küste zu fahren? Wer weiß, wie viele Berge ich zu überqueren, vielleicht sogar zu schieben, habe? Ich frage daraufhin die Wirtin. Leider kann sie mir nicht sagen, welche Route für das Fahrrad mit Gepäck am geeignetsten ist. Aber sie holt den Koch. Dieser erklärt mir, an der Küste ist es viel schöner und fast die gesamte Strecke ist eben. Nur ein kleinerer Berg ist hinter dem Ort Ezaro zu bewältigen. Der Anstieg hat eine Länge von 3 oder 4 km. Der Koch ist der Meinung, von Noia bis Fisterra  wären es 100 km. Nach meinen Berechnungen dürften es „nur“ 80 km sein. Ich entscheide mich für die Küstenroute.

verregnetes Noia

Ab Noia fahre ich auf der C-550. In Muras, 30 km hinter Noia, mache ich eine Pause. Auf der Restauranttoilette wechsle ich mein Trikot. Nebenan ist ein Supermarkt. Ich kaufe mir eine Fanta und ein Schweinsohr und mache es mir auf einer Bank in der Sonne mit Meerblick gemütlich. Auf der Weiterfahrt mache ich am Ortsende, welches gleichzeitig Ortseingang von Serres ist, ein Foto vom zurückgegangenen Meer. Nun geht es nur noch auf und ab. Also nichts mit flach! Oft kann ich nur 8 km/h fahren. Jetzt weht auch noch ein starker Wind gegen mich. So schlimm war es vor der Mittagspause nicht. Warum fahre ich nicht an 2 Tagen nach Fisterra?

 

Ich denke an Heidi. Es ist heute ihr erster Flug. Auch für mich war der Flug nach Spanien mein erster Flug. Ich war ganz schön nervös und habe im Vorfeld einige Leute, die schon geflogen sind, nach ihren Erfahrungen befragt. Meine positiven Erlebnisse habe ich nun Heidi mit auf den Weg gegeben.

Es geht immer wieder auf und ab. Viele Kilometer wollen heute noch von mir gefahren werden. Das Wetter ist nun sehr schön. Es ist sehr heiß, so dass ich ohne Jacke fahren kann. Kurz vor O Pindo sehe ich zum ersten Mal das Cabo Fisterra (das Kap oder auch das „Ende der Welt“) sowie die Stadt Fisterra. Ich mache eine Verschnaufpause mit Apfel und Keksen. Mein Blick ist zum Kap gerichtet. Ob ich wohl schneller bin, wenn ich schwimme?

Nach einigen Kilometern Weiterfahrt erreiche ich hinter Ezaro den befürchteten Anstieg. Dieser zieht sich tatsächlich 3 km hin. Anschließend werde ich jedoch mit einer längeren Abfahrt bis nach Cée belohnt. 17 km sind es jetzt noch bis Fisterra. Aber ich habe keine Lust mehr zu fahren, bin heute schon über 100 km unterwegs. Auch hinter Cée geht es immer wieder hoch. In Corcubión, etwa 12 km vor Fisterra, rufe ich zu Hause an. Erst geht niemand ran, dann ist dreimal besetzt. Dann eben nicht! Es geht schon wieder hoch. Die Kräfte verlassen mich. Die Beine sind, denke ich, okay, nur der Kopf sagt mir: Ich will nicht mehr! Nun verspüre ich auch Hunger. Nur Toast, Kekse und ein Schweinsohr sind keine gute Grundlage für die Strapazen. Ich quäle mich die letzten Kilometer. Eigentlich wollte ich schon vor 1 ½ Stunden da sein... Jetzt nicht an so etwas denken.

Etwa 17:45 Uhr erreiche ich Fisterra. Ich frage mich zum Refugio durch. Als ich das dritte Mal nachfrage, stehe ich direkt vor dem Gebäude. Man kann aber nicht erkennen, das es sich um das Refugio handelt. Ich werde freundlich von einem jungen Holländer aufgenommen. Als ich ihm berichte, dass ich heute 123 km gefahren bin, staunt er. Er meint, ich kann nun relaxen. Nachdem ich meinen Pilgerpass vorgelegt und einen letzten Stempel erhalten habe, bekomme ich meine zweite Urkunde ausgestellt. Diese ist in einem festeren Material als die Compostela. Das Layout gefällt mir sehr gut, vor allem die kräftigen Farben, die man auf der Compostela nicht findet.

Urkunde für den Weg „Santiago – Fisterra“

In der Herberge bekomme ich eine Matratze zugewiesen, da die Betten bereits belegt sind. Das gemeinsame Pilgerfrühstück soll um 8:40 Uhr stattfinden. Da werde ich leider schon unterwegs sein. Schade, ich hätte gerne einmal mit anderen Pilgern zusammen gefrühstückt. Eigentlich ist in Fisterra die Pilgerung beendet. Da ich morgen die Rückreise nach Bilbao mit dem Fahrrad in Angriff nehme, stelle ich eine Ausnahme dar.

Nachdem ich mein Bett gebaut und mich kurz frisch gemacht habe, suche ich eine Telefonzelle. Diesmal erreiche ich meine Eltern zu Hause. Das Telefonat ist, im Gegensatz zu anderen, recht kurz. Ich habe großen Hunger und bin sehr müde. Das Restaurant am Meer hat leider noch nicht geöffnet. So gehe ich heute in einen Imbiss ähnlich wie Mc Donalds. Es gibt einen leckeren Chickenburger und einen gemischten Salat.

Als ich in die Herberge zurückkomme, sehe ich ein bekanntes Gesicht. Diesem Mädchen bin ich schon einmal begegnet. Als ihr Freund hinzukommt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Vor mir steht das polnische Pärchen, mit denen ich in Palas de Rei zusammen am Tisch saß. Sie sind, wie sie mir vor ein paar Tagen mitteilten, am Dienstag in Santiago angekommen und mit dem Bus nach Fisterra gefahren. Die beiden wollen noch in die Stadt gehen. Ich habe keine Lust, noch wegzugehen. Auf der Matratze mache ich es mir bequem und schreibe Tagebuch. Ich bin aber so müde, dass ich mich kurze Zeit später entschließe, duschen zu gehen. Es gibt mal wieder kaltes Wasser. Aber das kenne ich ja schon und ist keine Problem für mich. Etwa 21 Uhr liege ich im Bett. Heute war ein anstrengender Tag. Es ging stets auf und ab. Eigentlich hatte ich vor, noch heute zum Kap zu fahren. Aber ich bin einfach zu k.o. Morgen früh werde ich zeitig starten, um vor eigentlicher Abfahrt das Kap zu besichtigen. Der junge Mann an der Rezeption sprach von etwa 4 km flacher Straße.

Heute habe ich einige Leute getroffen, die mich mit ihrer Hupe anfeuerten. Eine Frau winkte mir durch den Innenspiegel ihres Autos zu. Eine nette Geste, wie ich finde! Mit dem Wetter bin ich auch sehr zufrieden. Es hat mich heute nicht im Stich gelassen.