Schon gestern bin ich mit dem Zug zu meiner Tante und meinem Onkel gefahren. Sie wohnen in der Nähe von Berlin und haben mir angeboten, mein Fahrrad und mich zum Flughafen Berlin-Tegel zu bringen.

Die gestrige Zugfahrt verging wie im Fluge. Dabei empfinde ich Zugfahren generell als sehr langweilig. Wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, sitze ich am liebsten im Fahrradabteil. Nicht dass ich mein Rad nicht alleine lassen möchte - nein, im Personenabteil ist es mir einfach zu kalt aufgrund der eingeschalteten Klimaanlage. So traf ich diesmal auf ein Ehepaar aus Hamburg. Sie hatten ihre Tour bereits hinter sich und waren auf dem Weg nach Hause. Der Elberadweg hat ihnen sehr zugesagt. Da ich selber diesen Weg fast in seiner gesamten Länge gefahren bin, konnten wir ein paar Erfahrungen austauschen. Natürlich habe ich auch von meinen jetzigen Plänen erzählt. Sie fanden es sehr bewundernswert, und auch mutig, alleine solch eine große Tour zu starten. In diesem Moment werde ich mir der Sache erst richtig bewusst. Ein bisschen mulmig ist mir schon. Aber ich habe alles gut durchdacht, nichts vergessen – also kann nichts schief gehen.

Heute ist nun der große Tag. Ich werde das erste Mal mit einem Flugzeug fliegen. Und dann auch gleich mit meinem Fahrrad im Gepäck. Ich hoffe es kommt zeitgleich mit mir und heil in Bilbao an. Ich verpacke es nun zusammen mit meinem Onkel. Im Internet habe ich mich über die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Verpackungsmöglichkeiten informiert. Es wird häufig empfohlen, das Rad so zu verpacken, dass es noch als solches zu erkennen ist. Die Packer am Flughafen gehen dann besser damit um - hoffen wir Radbesitzer zumindest. Ich stelle also den Lenker quer, drehe die Pedalen nach innen. Diese Vorkehrungen sind gewöhnlich zu tätigen. Das Schaltwerk bringe ich so weit wie möglich nach innen. Nun hängen wir eine Pappe (von der Schrank-Lieferung meines Onkels, diese weist eine günstige Größe auf) quer über das Fahrrad und kleben diese überall am Rad fest, wo es nur geht. Nachdem das Fahrrad ins Auto gepackt wurde, suche ich mir einen schönen Stein aus dem Steinbeet. Diesen beschrifte ich mit meinem Namen und dem Jahr. Auf dem Weg nach Santiago werde ich den Stein am „Cruz de Ferro“, dem höchsten Punkt der ganzen Reise, ablegen. Seit Jahrhunderten legt jeder Pilger einen Stein aus der Heimat an diesem einfachen Eisenkreuz ab. Symbolisch legt man die Lasten vergangener Jahre dort ab.

Verpacken des Fahrrades

Wir sind etwa 2 Stunden vor Abflug am Flughafen. Ich möchte mir einen Fensterplatz reservieren, um schöne Fotos aus der Luft zu machen. Bevor ich einchecke, lasse ich noch etwas Luft aus den Reifen. Für das Fahrrad brauche ich nichts zu bezahlen, die Vorlage meiner Reservierung genügt. Nach dem Einchecken meines Rades, der zwei Ortliebs sowie dem Müllsack mit meiner Isomatte und meinem Schlafsack haben wir noch Zeit für einen Kaffee bzw. eine Sprite. Dabei sehe ich einige Flugzeuge, die ankommen oder „losfahren“. Auch das Beladen kann ich beobachten. Nur „mein“ Flugzeug ist noch nicht da. Ich hätte doch gerne gesehen, dass mein Gepäck auch tatsächlich eingeladen wird. Gegen halb Eins verlässt mich mein Onkel. Die Passagiere können nun in den Warteraum gehen. Beim Einchecken meiner Gürteltasche als Handgepäck neben meiner Lenkertasche ertönt plötzlich ein lauter Piepton. Was ist denn nun los? „Werkzeug dürfen Sie nicht mit ins Flugzeug nehmen“. Ich hatte mir beim Packen keine Gedanken gemacht. Hauptsache Werkzeug gleich bereithalten, wenn ich ankomme... „Und nun?“ frage ich. „Gehen Sie bitte wieder raus an den Schalter und lassen Sie die Tasche zusätzlich Einchecken.“ Es bleibt mir nichts anderes übrig.

Um 13 Uhr dürfen wir das Flugzeug betreten. Nach einem „Buenas tardes!“ zu den Stewardessen suche ich meinen Platz am Fenster. Beim Start ertönt Entspannungsmusik leise im Hintergrund. Das ist sehr angenehm. Beim Abheben ist mir etwas mulmig im Bauch. Aber ich werde mit einem herrlichen Ausblick über Berlin entschädigt. Ich greife auch gleich zu meiner Kamera und mache einige Fotos. 

Über den Wolken

Durst und Hunger kosten mich dann noch 6 Euro, ansonsten ist es ein angenehmer Flug nach Barcelona. Dort steige ich in ein anderes Iberia-Flugzeug um. Nach einer Stunde komme ich in Bilbao an. Hoffentlich auch mein Gepäck!

Als ich die Flughalle betrete, sehe ich bereits meine blauen Ortliebs mit dem gelben Kofferanhänger. Und da kommt auch mein restliches Gepäck. Gott sei Dank! Mein Fahrrad scheint auf den ersten Blick den Flug gut überstanden zu haben. Nur der Karton ist ein wenig demoliert. Das Luftpumpen mit der einfachen Pumpe ist sehr mühsam. Ich brauche mehr Luft als gewöhnlich, da ich mit 16 kg „Übergewicht“ hinten beladen bin. Plötzlich geht keine Luft mehr rein, sondern die zuvor eingepumpte Luft kommt wieder raus. Platten! Na toll! Und in diesem Moment ruft mir noch eine Mitarbeiterin des Flughafens zu, ich sollte doch mein Rad draußen zusammenbauen. Ich schiebe also das Rad nach draußen, gehe zurück und hole mein Gepäck. Hinterrad raus (es musste ja auch das Hinterrad sein!), Ersatzschlauch in den Mantel... Das Ganze gestaltet sich heute alles andere als einfach. Die Leute gehen an mir vorbei und schauen mich an, als könnten sie nicht verstehen, dass ich mein Fahrrad gerade am Flughafen auseinanderbaue. Niemand bietet seine Hilfe an. Meine schwarzen Hände sehen wohl zu erschreckend aus.

Nachdem wir nun fahrtüchtig sind, geht es los in Richtung Bilbao. Den Bus möchte ich nicht nehmen, da es nur 10 km bis Bilbao sind und ich Lust habe, diese zu fahren. Auf der Straße halte ich noch mal kurz auf dem Randstreifen und pumpe etwas mehr Luft auf. Ich habe ein etwas ungutes Gefühl, wenn ich an meine arme Felge denke. Mit mir und dem Gepäck hat sie es nicht leicht...

Auf der Weiterfahrt merke ich, dass ich auf eine Autobahn gelange. Es muss doch auch einen anderen Weg geben. Ich sehe rechte Hand ein einzeln stehendes Haus. Da frage ich am besten mal. Die Frau ist Holländerin. So können wir Englisch sprechen. Das geht mir etwas besser über die Lippen. Ich erfahre von dem Ehepaar, das es bis nach Bilbao zwar nur etwa 10 km sind, jedoch ein großer Berg zu überfahren gilt. Es ist bereits nach halb Acht und ich habe Hunger und Durst. Als Alternative könnte ich mit dem Rad nach Derio zu fahren (ca. 10 Minuten) und dort die S-Bahn nach Bilbao ins Zentrum nehmen. Das werde ich auch tun. Der junge Mann zeichnet mir den Weg nach Derio auf einem Zettel auf. Die nächste Bahn fährt kurz nach 20 Uhr. Die Familie füllt mir noch Wasser in meine zwei Flaschen. Ich bedanke mich recht herzlich.

Die S-Bahn in Derio finde ich dank der guten Beschreibung sehr leicht. Dort muss ich mein Gepäck vom Fahrrad nehmen. Es geht eine Treppe runter, um ein Ticket zu kaufen und an der anderen Seite zu den Gleisen wieder eine Treppe heraufzusteigen. Aber ich habe noch ein paar Minuten Zeit. Die Frau am Schalter ist so nett und stellt mein Gepäck in den Fahrstuhl. Mein Fahrrad und ich passen leider nicht mehr hinein. Sie kommt noch mit hoch zu den Gleisen und hilft mir erneut, das Gepäck aus dem Fahrstuhl zu nehmen. Die Fahrt verläuft dann ohne Komplikationen. Nach ca. 28 Minuten bin ich im Zentrum von Bilbao. Dort ergibt sich dasselbe Problem wie zuvor: Treppen. Beim Gepäck abmachen verheddert sich ein Packgummi in meinem Zahnkranz. Und das so stark, dass ich es nicht wieder herausbekomme. In diesem Moment treffe ich erneut eine nette Person in Spanien: Ein Mann kommt vorbei und möchte mir den Fahrstuhl zeigen. Ich versuche ihm mein Problem mit dem verhakten Gummi zu erklären und er hilft mir sofort. Anschließend bringt er mich zum Fahrstuhl.

Im Zentrum muss ich mehrmals nach der Herberge fragen. Ich weiß, dass sie sich etwas außerhalb des Zentrums sowie in der Nähe der Autobahn befindet. Die Leute versuchen mir alle zu helfen. Eine junge Frau mit Kinderwagen zeichnet mir schließlich den Weg auf einem Tempotaschentuch auf. Später fällt mir ein, ich habe ja auch Papier, extra für solche Fälle, in meiner Gürteltasche - leider zu spät.

Nach 21 Uhr erreiche ich dann endlich die Herberge. Ich bekomme ein Bett in einem 4-Mann-Zimmer zugewiesen. Beim Anschließen des Fahrrades treffe ich Javier, einen jungen Mann aus Valencia. Er ist auch mit dem Rad unterwegs. Da wir beide noch was essen gehen wollen, verabreden wir uns. Nur noch schnell duschen... Zum Duschen komme ich gar nicht mehr. Auf meinem Zimmer treffe ich Ruth aus Wien sowie eine Pilger-Helferin, die gerade aus Santiago kommt. Sie ist Deutsche und erzählt mir, dass sie, um in Santiago zu helfen, den Weg zu Fuß gehen musste. Ruth war mit mir im selben Flieger von Barcelona nach Bilbao und möchte nun ein Schulpraktikum in Bilbao machen. Am 31. August, also einen Tag nach mir, fliegt sie wieder zurück nach Wien. Irgendwie verquatschen wir uns. Ich suche zwar die ganze Zeit nach meinen Duschsachen, kann aber in den zwei gleichen Taschen auf die Schnelle nicht alles finden, was ich brauche. So wird es erst einmal nichts mit dem Duschen. Ich muss runter zum Eingang, möchte doch meine Verabredung nicht warten lassen. Dort muss ich dann erkennen, dass die Spanier es nicht so mit der Pünktlichkeit haben... Wir suchen uns ein kleines Restaurant in der Nähe der Herberge. Javier erzählt mir von seiner Tour, die er heute beendet hat, und gibt mir einige Hinweise für meine Tour. Vor allem ist es nicht möglich, an einem Tag nach San Sebastián zu fahren, erklärt er mir. Diese Etappe habe ich mir doch für morgen mit ca. 120 km vorgenommen. Ich habe nur nicht mit so vielen Bergen gerechnet. Javier meint, wenn man in Spanien 60 km am Tag fährt, ist das vollkommen genug. Er fährt meist um die 60 km.

Javier zeichnet mir in seine Karte, die er ja nun nicht mehr braucht, eine gute Route nach San Sebastián ein. Er erklärt mir auch, wo ich morgen übernachten kann- in einer Pilgerherberge in Colegiata. Wir sprechen die meiste Zeit Englisch. Zu Essen bestellen wir Croquetas und Calamares. Zu Trinken bestelle ich einen Orangensaft. Der Saft ist frisch gepresst! Da ich sehr müde bin, halten wir uns nicht länger im Restaurant auf. In der Herberge müssen wir uns leider auch schon wieder verabschieden. Morgen gehen wir getrennte Wege. Ich fahre nach Colegiata, Javier schaut sich noch das Guggenheim-Museum an, bevor er wieder nach Hause fährt. Aber ich habe seine E-Mail-Adresse und werde ihm nach meiner Tour von dieser berichten. Er wünscht mir eine schöne Fahrt. Nach 0 Uhr liege ich endlich nach einer warmen Dusche im Bett. Der Wecker wird um 7 Uhr klingeln. Das wird eine kurze Nacht, aber ich freue mich auf morgen. Es geht los!!!

Javier hilft bei der Tourplanung